Pressekonferenz der Demokratischen
Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS)
Bern, 6. September 2002
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Beiträge von Catherine
Weber und Marcel Bossonnet
Der Fall Gabriele Kanze
Das Auslieferungsrecht droht zu politischen Zwecken
missbraucht zu werden
Einleitende Bemerkungen der Demokratischen Juristinnen und Juristen der
Schweiz (DJS)
Sie werden sich vielleicht gefragt haben, weshalb sich die DJS als
politische Organisation von fortschrittlichen Juristinnen eines
Einzelfalls annimmt. Nach
Prüfung aller vorhandenen Unterlagen und insbesondere des
Entscheides des Bundesamtes für Justiz sind die DJS zum Schluss
gekommen, dass der Fall von Gabriele Kanze und die damit verbundenen
Fragen des Rechtsschutzes und der politischen Justiz eine breitere
Öffentlichkeit verdient haben.
Zum einen weil die Gefahr besteht, dass das Auslieferungsrecht zu
politischen Zwecken missbraucht wird. Dieser Verdacht wird unter
anderem dadurch genährt, dass das spanische Auslieferungsbegehren
weder das Urteil der Audiencia Nacional von 1997 noch die Ermittlungen
der Berliner Staatsanwaltschaft auf Grund des spanischen
Strafübernahme-Ersuchens würdigt. Ähnlich schludrige
Auslieferungsbegehren des spanischen Staates sind im übrigen auch
in anderen Fällen bekannt wie z.B. im Fall des Juan Ramos
Rodriguez Fernandez in Holland.
Aushöhlung des Rechtsschutzes
Zum anderen besteht die Gefahr, dass der Rechtsschutz in
Auslieferungsverfahren immer mehr
ausgehöhlt wird. Der Entscheid des Bundesamtes für Justiz
betrachtet die Frage der Auslieferung
nur noch als eine Frage der beiderseitigen Strafbarkeit, die
gewissermassen automatisch die
Bewilligung der Auslieferung nach sich ziehen soll. Gerade bei
Verfahren mit politischem
Hintergrund - wie im vorliegenden Fall - sind solche Automatismen
verheerend.
Nach Ansicht der DJS ist ein solcher Automatismus eine Vorwegnahme
dessen, was die EU mit ihrem Europäischen Haftbefehl auch formell
einführen wird. Anstelle des förmlichen
Auslieferungsverfahrens und eines damit verbundenen Rechtsschutzes wird
zwischen den EU-Staaten nur noch ein so genanntes
Übergabeverfahren
stattfinden.
Damit wird ausgeblendet, dass von einer Rechtsstaatlichkeit und
Fairness des Strafverfahrens und der Haftbedingungen längst nicht
in allen EU-Staaten die Rede sein kann. Die Schweiz - als
"Nicht-EU-Mitglied" wird zwar diesen Rahmenbeschluss nicht automatisch
übernehmen, bekanntlich bewegt sie sich aber in Fragen der Justiz
und Polizei ständig auf die EU zu. Die Gefahr eines Abbaus des
Rechtsschutzes droht zudem auch im Zusammenhang mit der Totalrevision
des Gesetzes zum Bundesgericht. Ich verweise dazu auf einen
Artikel aus der NZZ vom 20.8.2002, eine Stellungnahme von
Rechtsanwalt Popp und Bezirksanwalt Zollinger.
Vorverurteilung
Wir haben den Eindruck, dass sich die spanische Justiz vor dem
Hintergrund der aktuellen spanischen Innenpolitik in Sachen Terrorismus
und ETA unter Zwang gesetzt hat, Frau Kanze und andere Personen in
ähnlicher Situation zu verurteilen. Die öffentlichen
Verlautbarungen der spanischen Polizei haben bereits zu einer
Vorverurteilung geführt: Auf Grund einer Meldung der deutschen
Presseagentur, die sich wiederum auf eine spanische Agenturmeldung
stützte, wurde bei der Verhaftung von Frau Kanze verbreitet, sie
werde verdächtigt konspirative Wohnungen für das ETA-Kommando
Barcelona angemietet und Giftgase hergestellt und verborgen zu haben.
Nach dem 11. September 2001 erhölt eine solche Anschuldigung
völlig neue Dimensionen.
Das Strafmass für die blosse Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung in Spanien liegt bei
mindestens sechs Jahren Haft. Zum Vergleich: In der Schweiz liegt das
Strafmass für Totschlag bei
Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von ein bis zu
fünf Jahren.
Catherine Weber, Geschäftsführerin DJS
Beitrag von Rechtsanwalt Marcel Bosonnet
Zum Verfahren gegen Gabriele Kanze
Gabriele Kanze arbeitete im Jahre 1993 als Sprachlehrerin in der
Sprachschule Tandem in Barcelona. Sie verliess Spanien im September
1993 und nahm im Oktober 1993 ihre Lehrerinnentätigkeit an der
Sprachschule Tandem in Berlin wieder auf. Spanien erliess am 23. Mai
1994 einen nationalen und internationalen Haftbefehl gegen Gabriele
Kanze. Mit Beschluss vom 5. September 1994 entschied der Juzgado
Central de Instruccion Numero Cuatro Madrid das Strafverfahren
gemäss Art. 21 Europöisches Auslieferungsübereinkommen
(EAÜK) an Deutschland abzutreten. Zu diesem Zwecke wurden den
Deutschen Behörden am 17. Oktober 1994 die erforderlichen
Dokumente mit dem Begehren um Übernahme des Strafverfahrens
übersandt, damit die Deutschen Behörden im Sinne von Art. 21
EA die Strafverfolgung gegen Gabriele Kanze übernehmen
können. Der Juzgado Central De Instruccion Numero Cuatro Madrid
ersuchte formell um Übernahme der Strafverfolgung von Gabriele
Kanze
wegen Zusammenwirkens mit einer "bewaffneten Bande". Zur
Begründung
wurde festgehalten, dass sie in Spanien Wohnungen angemietet haben
solle, die von Mitgliedern der ETA benutzt und in denen Waffen und
Sprengstoff gelagert worden sei.
Mit Verfügung vom 22. Februar 1995 hielt der leitende
Oberstaaatsanwalt
Feissel aus Berlin fest, die
Voraussetzungen der Tatbestandsmerkmale der Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung würden
nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht vorliegen.
Das Polizeipräsidium Berlin erklärte, dass wohl ein
Vernehmungsprotokoll der spanischen Staatsangehörigen Aurelia
Garcia Orta vorliegen würde, aus dem hervorgehen würde, das
Gabriele Kanze eine Wohnung an der Straße Aragon 475 in Barcelona
gemietet habe. Hinweise "für die Anmietung der Wohnung von Felipe
San Epifanio Sanpedro in der Straße Padilla 204-206 ... durch
Gabriele
Kanze, wo ein umfangreiches Waffen- und Sprengstoffmaterial aufgefunden
wurde, ergeben sich nicht."
Auf mehrfache Rückfragen der deutschen
Strafverfolgungsbehörde teilten die spanischen Behörden am
29. November 1995 mit, dass es sich bei dem in der Wohnung in der
Straße Aragon
Nr. 475 sichergestellten dunkelgrauen Substanz um Bleisulfid handeln
würde. Die Staatsanwaltschaft I beim Landgericht Berlin
bestätigte in einem Vermerk vom 11. Dezember 1995, dies sei
zweifelsfrei
kein Explosivstoff. Das Ermittlungsverfahren gegen Gabriele Kanze wurde
deshalb durch die Staatsanwaltschaft I am 23. November 1998
eingestellt.
Gleichwohl richtet Spanien an die Schweiz ein gleichlautendes
Auslieferungsbegehren.
Dieses ist aus folgenden Gründen abzulehnen:
1. Es ist unvollständig, da dem Ersuchen nicht zu entnehmen ist,
welche Wohnung durch Gabriele Kanze tatsächlich angemietet worden
ist (Art. 12 Abs. 2 lit.b EA).
2. Die Strafkompetenz ist von Spanien durch das
Strafübernahmersuchen an die Bundesrepublik Deutschland
übertragen worden. Spanien besitzt zur Durchführung eines
identischen Verfahrens keine Zuständigkeit mehr.
3. Die ursprünglichen Anschuldigungen eines Mitangeklagten gegen
weitere Mitangeschuldigte kamen unter Folter zustande. Aussagen unter
Folter dürfen nach der UNO-Konvention gegen Folter nicht verwendet
werden (Art. 1 iVm Art. 3 UNO-Konvention).
4. Auf Grund der vorliegenden Berichte über Misshandlungen und
Folter in Spanischen Gefängnissen verbietet sich eine Auslieferung
nach Spanien, da auch Gabriele Kanze eine Misshandlung oder Folter
droht (Art. 3 EMRK).
5. Die vorliegenden Beweise, das Resultat der Strafuntersuchung in
Deutschland und ein Urteil in Spanien belegen, dass die Anschuldigungen
im spanischen Auslieferungsersuchen den Tatsachen widersprechen und,
dass das spanische Begehren deshalb rechtsmissbräuchlich erfolgt.
Dieser Rechtsmissbrauch legt nahe, dass die Auslieferung von Spanien
aus politischen Gründen erfolgt (Art. 3 Ziff. 1 EA).
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