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ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 467 / 22.11.2002

Foltergehilfe Schweiz

Deutsche soll als mutmaßliche ETA-Aktivistin an Spanien ausgeliefert werden

Seit März diesen Jahres sitzt Gabriele Kanze in der Schweiz auf Grund eines internationalen Haftbefehls aus dem Jahr 1994 in Auslieferungshaft. Die spanischen Behörden beschuldigen sie, 1993 zwei Wohnungen in Barcelona angemietet zu haben, die Mitgliedern eines ETA-Kommandos als Unterschlupf und Waffenversteck gedient hätten. Obwohl zweifelsfrei feststeht, dass an diesen Anschuldigungen nichts dran ist, hat die Schweiz der Auslieferung zugestimmt. Nun hat sich der Anti-Folter-Ausschuss der UNO in den Fall eingeschaltet.

In Spanien drohen Gabriele Kanze mindestens sieben Jahre Haft. Das ist die untere Grenze, die das spanische Strafrecht für die „Unterstützung einer bewaffneten Bande“ vorsieht. Dass die Sprachlehrerin als „mutmaßliche ETA-Aktivistin“ in den Medien gehandelt wird, erinnere sie an Heinrich Bölls Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Bölls Heldin gerät in die Mühlen der Terroristenhatz, als sie sich unwissentlich in einen gesuchten Terroristen verliebt. „Die Ähnlichkeit zu meinem Fall“, so schreibt Gabriele Kanze an ihren Anwalt Marcel Bosonnet, „liegt in der ,falschen Liebe`, die mich notwendigerweise in meine jetzigen Schwierigkeiten bringen musste“.


Und schon bist du eine Terroristin

Die „falsche Liebe“ hat bis heute gehalten – trotz der AIDS-Krankheit des Mannes und trotz der Schwierigkeiten mit Justiz und Polizei. Gabriele Kanze lernte Benjamin Ramos, den sie vor Jahren geheiratet hat, Anfang der 90er Jahre in Barcelona kennen. Sie arbeitete dort als Deutschlehrerin an einer Sprachenschule, einer Partnerorganisation des Berliner Sprachenvereins Tandem, für den sie zuvor schon einige Jahre tätig war. Das Betriebsklima an der Schule erwies sich aber als derart schlecht, dass sie im September 1993 die Stelle wieder aufgab und nach Berlin zurück kehrte. Der Arbeitsplatz beim Berliner Tandem war ihr freigehalten worden.

Ein drei Viertel Jahr nach ihrer Rückkehr, Ende April 1994, beginnt Gabrieles Leidensgeschichte. Im spanischen Fernsehen muss sie sehen, dass nach ihr und Benjamin gefahndet wird. Die Polizei hält beide für Unterstützer des Kommando Barcelona von ETA. Benjamin Ramos ist gemeinsam mit ETA-Leuten geflohen. Nach einer Weile in Frankreich trennt er sich von der Gruppe und schlägt sich nach Berlin zu Gabriele durch. Im Januar 1995 wird er dort festgenommen, anderthalb Jahre danach an Spanien ausgeliefert und 1997 wegen „Unterstützung einer bewaffneten Bande“ zu über elf Jahren Haft verurteilt. (vgl. ak 407) Weil Deutschland eigene Staatsangehörige (derzeit noch) nicht ausliefert, war Gabriele Kanze in Berlin sicher – aber eben nur dort. Am 14. März 2002 wird der Bus, mit dem sie nach Italien, in den ersten Auslandsurlaub seit acht Jahren, reisen will, an der Schweizer Grenze in St. Margarethen kontrolliert. Die Reise endet in einem Gefängnis in Flums (St. Gallen).


Unhaltbare Vorwürfe

Gabriele Kanze sei wie Benjamin Ramos Mitglied der terroristischen Vereinigung ETA gewesen, so heißt es in dem spanischen Auslieferungsersuchen. „Ihre Funktion hat darin bestanden, durch das Anmieten von Wohnungen in der Calle Padilla Nr. 204-206 und in der Calle Aragon Nr. 475 den anderen Mitgliedern der Zelle Unterschlupf und ein Versteck für die Waffen und Sprengstoffe zu bieten, mit denen sie ihre kriminellen Attentate ausführten. Das Material bestand in 90 Kilo Sprengstoff, vier Handgranaten, einer Maschinenpistole, Zündern und Verstärkern, etc. Teile des Materials wurden in der Wohnung der Calle Padilla sicher gestellt, nachdem Felipe San Epifanio am 28. April 1994 verhaftet worden war.“

Diese wenigen Sätze waren die Grundlage für die Entscheidung, mit dem das schweizerische Bundesamt für Justiz der Auslieferung von Gabriele Kanze zustimmte. „Wenn ein europäischer Staat die Auslieferung einer Person verlangt, wird grundsätzlich nur geprüft, ob die im Ersuchen aufgeführten Handlungen auch in der Schweiz strafbar wären“, so Erwin Jenni, Leiter der Sektion Internationale Rechtshilfe im Bundesamt für Justiz. „Schuld- und Tatfragen zu klären ist Sache des zuständigen ausländischen Richters.“ Das Europäische Auslieferungsübereinkommen verpflichte den ersuchenden Staat – in diesem Falle Spanien – nur zu einer Sachverhaltsdarstellung, aber nicht zur Lieferung von Beweisen. „Eine Verweigerung der Auslieferung“, so heißt es denn auch im Auslieferungsentscheid des Bundesamtes, „würde sich nur dann rechtfertigen, wenn die Sachverhaltsdarstellung offensichtliche Fehler, Lücken oder Widersprüche enthält.“ Die Darstellung der spanischen Behörden sei zwar kurz, aber ausreichend.

Sie ist nicht nur kurz, sondern absolut unklar“, kontert Rechtsanwalt Marcel Bosonnet. „Wesentliche Ergebnisse der zwischenzeitlichen Untersuchungen in Spanien selbst und in Deutschland werden bewusst ausgeklammert.“

Schon die Behauptung, Felipe San Epifanio habe Gabriele Kanze belastet, sei falsch. Durch seine Aussagen, die er im April 1994 unter Folter gemacht hat, ist die spanische Polizei zwar auf die inkriminierten Wohnungen gestoßen. Gabriele Kanze habe er nicht gekannt, wiederholte San Epifanio auch 1997 im Prozess vor der Audiencia Nacional in Madrid, dem zentralen Strafgericht, vor dem sämtliche Terrorismus-Prozesse stattfinden.

Sprengstoff und Waffen fand die Polizei nur in der Calle Padilla. Diese Wohnung hatte nicht Gabriele Kanze, sondern Benjamin Ramos gemietet und einer Bekannten – „Lola“ – und deren Freunden überlassen. Dass es sich bei den UntermieterInnen um ETA-Mitglieder handelte, erfuhr er – auch das ein Ergebnis des Prozesses von 1997 – erst nach der Verhaftung San Epifanios, als „Lola“ an seiner Arbeitsstelle auftauchte und ihn zur Flucht aufforderte. Zwar wurde Ramos wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Zur Last gelegt wird ihm aber nur, dass er das Fluchtauto mietete und ein falsches Kennzeichen montierte. Was die Wohnung anbetrifft, sprach ihn die Audiencia Nacional ausdrücklich frei. Es gebe „keine ausreichenden Beweise“ und „keinerlei Indizien“, dass er nach der Untervermietung an „Lola“ noch Verfügungsgewalt über die Wohnung gehabt und von den dort gelagerten Waffen gewusst hätte.

Den Vertrag für die Wohnung in der Calle Aragon hingegen hat im Sommer 1993 tatsächlich Gabriele Kanze unterzeichnet. Hier wollte sie DozentInnen unterbringen, die wie sie einige Zeit bei der Barceloneser Sprachenschule arbeiteten und kurzfristig eine Unterkunft benötigten. Sie hat die Wohnung auch bei ihrer Rückkehr nach Berlin Ende September 1993 nicht gekündigt. Tatsächlich haben wohl in der ersten Zeit SprachlehrerInnen in der Wohnung gelebt. Die Tochter der Hausbesitzerin gab bei der Vernehmung zu Protokoll, dass man ihr im Oktober 1993 mitgeteilt habe, die Miete solle nun von einem anderen Konto abgebucht werden. Zu diesem Zeitpunkt war Gabriele aber nachweislich wieder in Berlin.

Weil Gabriele Kanze als Deutsche nicht ausgeliefert werden konnte, richteten die spanischen Behörden im Oktober 1994 ein Ersuchen um Übernahme der Strafuntersuchung an die BRD. Die Ermittlungen führte die Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin. Sie hielt zunächst fest, dass Gabriele Kanze keine Verbindung zu der Wohnung in der Calle Padilla und dem dort sicher gestellten Waffenlager hatte. In der von ihr selbst gemieteten Wohnung in der Calle Aragon seien dagegen weder Waffen noch Sprengstoffe gefunden worden, sondern nur ein „Glasbehälter von einem Zentimeter Durchmesser und einer Höhe von vier Zentimetern, der ein schwarzes Pulver unbekannter Zusammensetzung enthält“. Im September 1995 forderte die Berliner Staatsanwaltschaft in Spanien nähere Auskünfte über den mysteriösen Fund. Die Antwort erging erst drei Monate später: Es handele sich um Bleisulfid. Übersetzungsfehler seien ausgeschlossen, bestätigt Ende 1995 das Bundeskriminalamt. Die Substanz werde definitiv nicht zur Herstellung von Sprengstoff gebraucht. Bleisulfid ist u.a. in Glasuren für Töpferwaren enthalten. Im April 1998 stellte die Berliner Staatsanwaltschaft das Verfahren ein – mangelnder Tatverdacht.

Diese Entscheidung ist jedoch für das Bundesamt für Justiz nicht ausschlaggebend. Die Einstellungsverfügung aus Berlin hindere die spanischen Behörden nicht daran, ihr eigenes Verfahren weiter zu betreiben und die Auslieferung zu verlangen. Grund: Die deutsche Justiz habe die Untersuchungen wegen „Fragen der territorialen Zuständigkeit nicht umfassend an die Hand genommen“. Tatsächlich konnte Gabriele Kanze in Deutschland nicht der „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ beschuldigt oder angeklagt werden, da der einschlägige Paragraf 129a des deutschen Strafgesetzbuchs (zu dieser Zeit) nur auf im Inland aktive Organisationen und damit nicht auf die ETA angewendet werden konnte. „Allerdings hat die Berliner Staatsanwaltschaft“, so Marcel Bosonnet, „genau die Handlungen untersucht, mit denen Gabriele Kanze angeblich die ETA unterstützt haben soll und dabei erkannt, dass weder Sprengstoff noch Waffen in ihrer Wohnung gefunden wurden. Auf was soll sich also der Vorwurf der ,Unterstützung einer terroristischen Vereinigung` noch stützen, wenn seine Grundlagen nicht mehr haltbar sind?“ Nach dem Urteil gegen Benjamin Ramos und den Untersuchungsergebnissen aus Berlin stehe zweifelsfrei fest, dass seine Mandantin keine strafbaren Handlungen begangen haben kann.


Untersuchung in Deutschland

Statt eine genauere Erklärung über die offensichtlichen Widersprüche anzufordern, hatte das Bundesamt den unklaren Vorbehalt formuliert, „dass die spanischen Behörden die Frau nicht wegen allfälliger politischer Hintergründe der ihr zu Last gelegten Straftaten verfolgen oder bestrafen dürfen.“ Die Auslieferung selbst wird dadurch nicht behindert. „Dem Bundesamt für Justiz“, so kommentierte Bosonnet die Entscheidung, „fehlte der Mut, den Spaniern auf die Füße zu treten.“

Doch nicht nur dem Bundesamt für Justiz fehlte dieser Mut. Am 21. Oktober hat das Schweizer Bundesgericht ebenfalls der Auslieferung von Gabriele Kanze zugestimmt. Auch den Richtern war es offenbar zu anstrengend, von Spanien eine Klärung der Widersprüche zu fordern. Ebenso wenig hat sie die Gefahr der Isolationshaft und der Folter davon abgehalten, die Auslieferung zu bewilligen. Bosonnet hatte darauf hingewiesen, dass die Untersuchungen gegen Kanze 1994 durch die unter Folter erpressten Aussagen eines ETA-Mitglieds ihren Anfang genommen hatten. Noch Anfang Oktober hatte Amnesty International das Bundesgericht daran erinnert, „dass es nach wie vor zu massiven Misshandlungen von ETA-Verdächtigen“ durch die spanische Polizei komme. Im Falle einer Auslieferung müsse das Gericht zumindest eine Sicherheitsgarantie von den spanischen Behörden fordern. Nicht einmal das haben die Richter getan. Spanien sei ein Rechtsstaat, in dem „nicht systematisch“ gefoltert werde.


Schweiz will ausliefern, die UNO bremst

Dass Gabriele Kanze bislang noch nicht ausgeliefert wurde, ist der Intervention des Anti-Folter-Ausschusses der UNO in Genf zu verdanken. Einen Tag nach der Entscheidung des Bundesgerichtes reagierte er auf eine Eingabe Bosonnets und forderte die Schweiz auf, von der Auslieferung abzusehen, „solange Kanzes Beschwerde vor dem Ausschuss geprüft wird“. Die Berner Behörden akzeptierten zähneknirschend. Die Auslieferung werde aufgeschoben. Es sei halt das erste Mal, so der Sprecher des Bundesamtes für Justiz Folco Galli, dass die Schweiz mit einem Verfahren vor dem Ausschuss konfrontiert werde.

Gabriele Kanze muss weiter im Regionalgefängnis Flums ausharren. Die Prüfung durch den Ausschuss wird sich wohl bis ins nächste Jahr hinziehen. Wie er entscheidet, ist nicht abzusehen. Im „besten“ Falle hätte Gabriele Kanze ein Jahr unschuldig in Haft verbracht.


Heiner Busch




Das Komitee gegen die Auslieferung von Gabriele Kanze in der Schweiz und das Komitee für Grundrechte und Demokratie rufen zu einer Protestbriefaktion auf und bitten um Spenden an die hohen Prozess- und Übersetzungskosten. Musterbriefe an schweizerische, deutsche und spanische Stellen finden sich auf der WoZ-Homepage (www.woz.ch) oder können per E-Mail angefordert werden: grundrechtekomitee@t-online.de. Spenden an Postscheck-Konto 30-157 767-7, Catherine Weber, Schulweg 4, 3013 Bern, Vermerk Gabriele Kanze.


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