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Informationen zum Prozess in Madrid am 29.11.2004




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Neue Folge – analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 407 / 23.10.1997

Elf Jahre Haft für Benjamin Ramos Vega

Gesundheitszustand weiter verschlechtert – Hungerstreik in Alcalá Meco abgebrochen

Am 3., 4. und 5. September 1997 fand in Madrid vor dem spanischen Sondergericht für politische Verfahren, der Audiencia Nacional, der Prozeß gegen den im Juni 1996 aus der BRD ausgelieferten baskischen politischen Gefangenen Benjamin Ramos Vega statt. Das Urteil gegen ihn lautet auf 11 Jahre und 4 Monaten. Es setzt sich zusammen aus 7 Jahren Haft für „Unterstützung einer bewaffneten Bande“ (ETA) und 4 Jahren und 4 Monaten für „Fälschung von Autokennzeichen“. Die Vorwürfe der „Mitgliedschaft“, des „Sprengstoffbesitzes“ und der „Lagerung von Kriegswaffen“ wurden vom Gericht fallen gelassen. Der Generalstaatsanwalt hatte für Benjamin Ramos Vega noch in seinem Plädoyer insgesamt 40 Jahre Haft gefordert.

Der Prozeß war von einer 11 köpfigen Kommission, bestehend aus AnwältInnen, ProfessorInnen, Abgeordnete, ehemalige DDR-Diplomaten in Spanien, GewerkschafterInnen, JournalistInnen und MitarbeiterInnen von Menschenrechtsorganisationen beobachtet worden. Die VerteidigerInnen werden gegen das Urteil Revision einlegen.

Gemeinsam mit Benjamin Ramos Vega standen Agurtzane Ezberra und Felipe San Epifanio (Pipe) vor Gericht, die beide dem Kommando Barcelona der ETA zugerechnet werden und die in ähnlichen Verfahren bereits zu mehreren hundert Jahren Haft verurteilt sind. In diesem Prozeß wurden sie zu weiteren 27 bzw. 41 Jahren verurteilt.


Im Gerichtssaal

Die Audiencia Nacional in Madrid macht eher den Eindruck einer Polizeiwache als den eines Gerichts. Überall, auch im Gerichtssaal, ist uniformierte Polizei, die auf jede unerwünschte Lebensäußerung mit sofortigem Rausschmiß reagiert. Konsequenterweise hat dort auch nicht der Richter, sondern die Polizei das Hausrecht.

Der Gerichtssaal ist durch 8 cm dicke Panzerglasscheiben in 3 Bereiche geteilt: Zuschauerraum, Raum für die Angeklagten und dem eigentlichen Gerichtssaal, in dem Staatsanwaltschaft, Richter und Verteidigung sitzen und die ZeugInnen befragt werden.

Da alle Bereiche akustisch voneinander isoliert sind, findet die Kommunikation über eine Lautsprecheranlage statt, die ausschließlich vom Richter bedient wird und meistens so leise gestellt ist, daß dem Prozeß nur schwer zu folgen ist. Beschwerden darüber werden als unerwünschte Äußerung geahndet.

Die Verteidigung und die Angeklagten können sich zwar sehen , aber während des Prozesses nicht miteinander reden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Teile des Gerichtssaales – aus „Gründen der persönlichen Sicherheit“ – durch Vorhänge so abzuteilen, daß weder die ZuschauerInnen oder die Angeklagten, noch – auch das kommt vor – die VerteidigerInnen die anwesenden ZeugInnen bei der Befragung sehen können.


Der Prozeß

Benjamin Ramos Vega hat in Barcelona den Mietvertrag für eine Wohnung unterzeichnet, in der Monate später Waffen, Sprengstoff, gefälschte Autokennzeichen und Dokumente des Kommandos Barcelona der ETA gefunden wurden. Er hat diese Wohnung für eine damals noch legal lebende alte Freundin, Lola, angemietet, die selbst nicht im Mietvertrag auftauchen wollte, weil sie als bekannte Linke und ehemalige Gefangene nicht ununterbrochen den Nachstellungen der Polizei ausgesetzt sein wollte. Diese Wohnung verriet Pipe San Epifanio, als ihm direkt bei seiner Verhaftung mit den Worten „Entweder – oder“ – so seine Aussage – eine entsicherte Polizeipistole an den Kopf gehalten wurde.

Das Gericht konnte Benjamin Ramos Vega weder nachweisen, daß er Pipe San Epifanio kannte oder wußte, wozu die Wohnung dienen sollte, noch daß er die Wohnung jemals betreten hat: es gab keine Fingerabdrücke von ihm dort, keine ZeugInnen haben ihn dort jemals gesehen, selbst das Wohnungsschloß war ausgetauscht worden.

Zur Verurteilung wegen Unterstützung ist es aber notwendig nachzuweisen, daß er wußte, wen er unterstützt. Dies war anhand der Wohnungsanmietung nicht möglich. Deshalb konzentrierte sich das Gericht auf die Tatsache seiner Flucht: Nach der Verhaftung von Pipe San Epifanio war Lola bei Benjamin Ramos Vega aufgetaucht und hatte ihm empfohlen, zu fliehen. Er mietete daraufhin ein Auto, ganz legal auf seinen Namen, mit dem er dann gemeinsam mit Lola und Agurtzane Ezberra Barcelona verließ.

Agurtzane Ezberra hatte nach ihrer Verhaftung während der fünftägigen incommunicado-Haft ausgesagt, daß Benjamin Ramos Vega sowohl wußte, wer sie ist, wie daß sie zum Kommando Barcelona der ETA gehört. Diese Aussage, die sie vor dem Untersuchungsrichter bestätigte, hat sie danach und im Prozeß der als unter, Folter entstanden, widerrufen. Trotzdem ist dies die Aussage, auf die sich das Urteil wegen Unterstützung gegen Benjamin Ramos Vega hauptsächlich stützt.

Während der Flucht mit dem gemieteten Auto gerieten die drei in eine Polizeikontrolle, in der, nach Aussage eines an der Kontrolle beteiligten Polizisten, Benjamin Ramos Vega seine Papiere und den Automietvertrag vorzeigte. Das Auto und Benjamin Ramos Vegas Personalien konnten allerdings nicht überprüft werden, da der Kontakt zum Polizeicomputer gestört war.

Notiert wurde das Kennzeichen des Autos, das mit dem Mietvertrag übereinstimmte, und das später mit eben diesem Kennzeichen in Zaragossa aufgefunden wurde. Trotzdem wurde Benjamin Ramos Vega zu 4 Jahren und 4 Monaten Haft wegen Fälschung von Autokennzeichen verurteilt, weil die Staatsanwaltschaft und das Gericht der Meinung sind, daß sie gefälscht gewesen sein müssen, weil es ihnen nur Dank gefälschter Autokennzeichen gelungen sein konnte, durch die Polizeikontrollen zu kommen.

Erst gegen Ende des Prozesses wurden die Untersuchungsberichte von Ärzten verlesen, die Agurtzane Ezberra einmal während der fünftägigen incommunicado-Haft, zum anderen Mal nach deren Ende bei der Einlieferung ins Gefängnis untersucht hatten. „Die Gefangene hat Blutergüsse an den Armen und am Rücken. An den Handgelenken und im Genitalbereich hatte sie grüne und blaue Flecken. Sie gab an, geschlagen worden zu sein. Man habe ihr eine Plastiktüte über den Kopf gezogen“, wurde von den Ärzten protokolliert. Diese Berichte, deren Verlesung die Verteidigung beantragt hatte, galten lange als verschwunden, tauchten aber wie durch ein Wunder wieder auf und wurden dann tatsächlich auch verlesen, was laut Aussage der VerteidigerInnen nur der Anwesenheit der BeobachterInnenkommission zu verdanken war.

Neben der Atmosphäre im Gerichtssaal und den Einschränkungen der Rechte der Verteidigung, ist die incommunicado-Haft zentraler Kritikpunkt der BeobachterInnenkommission. Die incommunicado-Haft ist Teil der spanischen Anti-Terrorismus-Gesetzgebung. Sie erlaubt es den spanischen Sicherheitskräften, einen Festgenommenen bis zu fünf Tagen in Polizeigewahrsam zu halten, ohne daß er die Möglichkeit hat, Angehörige über seinen Aufenthaltsort zu informieren oder einem Anwalt zu sprechen. Die incommunicado-Haft endet mit Vorführung und Verhör vor dem Untersuchungsrichter.

Aussagen bei Verhören in der incommunicado-Haft müssen zwar protokolliert werden und die Gefangenen ärztlich untersucht werden, doch die meisten Berichte von Mißhandlungen und Folterungen betreffen diesen Zeitraum. In diesem Zusammenhang hat es auch bereits mehrere Todesfälle (z.B. „Fensterstürze“, „Selbstmorde“) gegeben. Die incommunicado-Haft ist von allen Menschenrechtsorganisationen eindringlich kritisiert worden.

Trotzdem gelten Aussagen, die während der incommunicado-Haft gemacht worden sind, in Spanien in jedem Fall als „rechtsstaatlich“, egal ob vorher offensichtlich gefoltert wurde oder nicht. Jone, die Anwältin von Benjamin Ramos Vega, sagt zu ihren Erfahrungen, warum die meisten Gefangenen solche Aussagen vor dem Richter bestätigen: „Sie haben Angst, wenn sie die Aussage verweigern, ihren Folterern wieder ausgeliefert zu werden.“

Agurtzane Ezberra, die bei der Aussage vor dem Untersuchungsrichter nicht mehr selbst stehen konnte, zeigte ihre Folter dennoch an. Nach dem Gespräch mit ihrer Anwältin widerrief sie ihre Aussagen als unter Folter und dem Eindruck von Drohungen entstanden.


Das Urteil

Die Auslieferung von Benjamin Ramos Vega nach Spanien war vom Berliner Kammergericht an Garantien geknüpft worden: Eine dieser Garantien verlangt, daß keine Aussagen, die unter Folter zustande gekommen sind, gegen ihn verwendet werden dürfen. Das Kammergericht erwähnte dabei ausdrücklich die Aussagen von Agurtzane Ezberra.

In der Urteilsbegründung wird eingestanden, daß sowohl Pipe San Epifanio, wie auch Agurtzane Ezberra Verletzungen an ihren Körpern aufwiesen, nachdem sie in Polizeikasernen festgehalten worden waren. Auch geht die Urteilsbegründung darauf ein, daß beide angeben, gefoltert worden zu sein. Es sei jedoch „nicht möglich, mit Sicherheit einen Verstoß gegen die Grundrechte festzustellen, sind doch die Verletzungen von Pipe San Epifanio auf seine Gegenwehr bei seiner Verhaftung zurückzuführen und auch die Verletzungen von Agurtzane Ezberra lassen auf ähnliche Umstände schließen oder haben andere, durch Zufall entstandene, oder selbst provozierte Gründe, die jedoch nicht vollständig geklärt werden konnten.“

Außerdem wird in der Urteilsbegründung betont, daß die Anschuldigung der Folter nicht nachgewiesen sei, und selbst wenn, blieben noch die Aussagen vor dem Untersuchungsrichter, die alle vorangegangenen Aussagen nochmals bestätigen.

Ferner betont das Gericht, der Vorwurf sei „abenteuerlich, daß die Behandlung nicht korrekt gewesen sei“. Deswegen kann das Gericht auch versichern, daß „die Empfehlungen, die von Seiten des deutschen Gerichts an die Auslieferung von Ramos gebunden waren, erfüllt werden.“

Insgesamt ist es der BeobachterInnenkommission nicht gelungen zu verhindern, daß die unter Folter erlangten Aussagen im Urteil eine Rolle spielen – was gelungen ist, ist daß sich das Gericht überhaupt mit der Möglichkeit von Folter auseinandersetzen mußte.

Die Begründung des Gerichts für die 7 Jahre Haft für Unterstützung von ETA bleibt trotz dieser Tatsache sehr vage: „Die Aussagen von Benjamin Ramos Vega während des Prozesses lassen zu der Überzeugung kommen, daß er darüber informiert war, daß bestimmte Personen etwas mit ETA zu tun haben und diese Angst vor einer Verhaftung hatten, wodurch er sich dazu entschloß, deren Flucht zu unterstützen.“ Gesagt hat Benjamin Ramos Vega im Prozeß das Gegenteil.

Die 4 Jahre und 4 Monate für Fälschung von Autokennzeichen sind völlig abenteuerlich, weil es keine ZeugIn gibt, die das gemietete Auto jemals mit falschen Kennzeichen gesehen hat – ganz im Gegenteil. Deshalb gibt es für diese Strafe auch keine Begründung außer der, daß Mitglieder von ETA grundsätzlich mit falschen Kennzeichen herumfahren.


Benjamin Ramos Vegas Gesundheitszustand

Der leitende Berliner Gefängnisarzt Dr. Rex hatte in einem Gutachten an die spanische Behörden ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der HIV-positive Benjamin Ramos Vega nicht in Kontakt mit Gefangenen kommen darf, die unter ansteckenden Infektionskrankheiten leiden. Er soll „eine seinem Gesundheitszustand angemessene medizinische Betreuung“ erhalten, so lautet eine der Garantien. Während der Haft in Spanien hat sich der Gesundheitszustand von Benjamin Ramos Vega jedoch rapide verschlechtert: Die Zahl der CD4 Helferzellen, ein Maß für den Zustand seiner Immunabwehr, ist inzwischen auf 112 gesunken, was ca. 10% des Wertes eines gesunden Menschen ist. Die Zahl hat sich in dem einen Jahr Haft in Spanien halbiert.

Dr. Friedrich, Teilnehmer der BeobachterInnenkommission, schreibt in seinem Gutachten zur aktuellen Gesundheitssituation: „Die rapide Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geht darauf zurück, daß die medizinische Behandlung nicht sachgerecht erfolgt ist.“ Benjamin Ramos Vega wird nicht als normaler Untersuchungsgefangener behandelt – er ist in der Strafhaftabteilung des Gefängnisses Alcalá Meco, und er hat dauernd Kontakt mit Häftlingen, die drogenabhängig sind und unter Infektionskrankheiten leiden – während seiner Haftzeit ist in Alcalá Meco TBC ausgebrochen.


Hungerstreik in Alcalá Meco

Vom 27.9 bis 9.10.97 befanden sich die baskischen politischen Gefangenen in Alcalá Meco, insgesamt 35, in einem unbefristeten Hungerstreik. Der Hungerstreik richtete sich gegen Angriffe durch Schließer und durch soziale Gefangene. Er ist abgebrochen worden, nachdem die Gefängnisleitung Gespräche zugesagt hat.

Direkter Auslöser des Hungerstreiks war ein Überfall auf drei jugendliche politische Untersuchungshäftlinge, die sich – wie Benjamin Ramos Vega – in der Strafhaftabteilung von Alcalá Meco befinden. Sie waren am 8.9.97 von fünf sozialen Gefangenen angegriffen und zusammengeschlagen worden. Zuvor hatten die Schließer den Angreifern eine Zwischentür und die Zellentüren der Gefangenen geöffnet.

Die Eltern der betroffenen Jugendlichen fordern jetzt, daß die Jugendlichen in einer Untersuchungshaftanstalt für Jugendliche im Baskenland und nicht in einer Strafhaftabteilung für männliche Erwachsene 500km entfernt von ihren Wohnorten untergebracht werden.

Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art in Alcalá Meco: Am 7.4.97 war ein baskischer politischer Gefangener erhängt in seiner Zelle aufgefunden worden. Nur durch Zufall gelangte in die Öffentlichkeit, daß seine Augen verbunden, die Hände auf dem Rücken und auch die Füße gefesselt waren. Bereits 1985 war ein baskischer politischer Gefangener mit durchschnittener Kehle aufgehängt in der Anstaltsdusche gefunden worden.

1991 wandten sich mehrere soziale Gefangene hilfesuchend an die Öffentlichkeit. Sie schrieben, daß die Schließer und zivil gekleidete Männer sie aufgefordert hätten, namentlich genannte baskische politische Gefangene u.a. auch in Alcalá Meco zu ermorden. Sie teilten mit, daß ihnen Messer ausgehändigt worden waren. Sollten sie sich weigern, so müßten ihre Angehörigen mit Schwierigkeiten rechnen.

Benjamin Ramos Vega hat sich trotz seines schlechten Gesundheitszustandes am Hungerstreik beteiligt. Er erlitt nach 4 Tagen eine Nierenkolik, die durch ärztliche Behandlung kuriert werden konnte.

Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega



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